Umstrukturierung

Mit Darwin im Orchideengarten

Medienwirksam wurde die Strukturreform der Paris Lodron Universität Salzburg präsentiert. Angepriesen als innovatives Facelifting des Standorts. Die harsche Kritik von Studierenden und Lehrenden wird konsequent ausgeklammert. Eine Zerreißprobe für die demokratische Uni-Kultur mit ungewissem Ausgang. Und dann ist da ja auch noch Corona.

Text: Simeon Koch

‚Schön, aber unnütz‘ – so das häufige Urteil über Orchideenfächer. Ausgefallene Studiengänge, oft belächelt als realitätsferne, brotlose Kunst. Ein ähnliches Eigenbrötler*innen-Image genoss lange die florale Inspiratorin dieser Wortschöpfung. Orchideen würden sich selbst bestäuben und somit aus dem Ökosystem ausklinken, argwöhnten Biolog*innen. Den Gegenbeweis erbrachte Charles Darwin. Die Rettung der Pflanze vor der Ausrottung. Wie dereinst ihre farbenfrohe Namenspatronin sind mehrere kleine Fachbereiche der PLUS nun in ihrer Existenz bedroht. Ein Paradigmenwechsel muss her. Sonst erschafft diese Reform, was Darwin eine wissenschaftliche Monokultur genannt hätte.

WEISSE WESTE DANK BILDUNGS-DARWINISMUS

Survival of the fittest – gilt das auch für universitäre Lehre? Durchaus, wenn es nach dem Rektorat geht. Rationalisierung lautet das Zauberwort. Die Österreichische HochschülerInnenschaft (ÖH) befürchtet, dass „alles, was nicht (…) die notwendigen Drittmittel bringt, sprichwörtlich in der Unsichtbarkeit (…) verschwinden und dort langsam aufgelöst werden soll“. Der Drill auf wirtschaftliche Rentabilität wird deutlich, wenn Rektor Lehnert der Linguistik attestiert, „ein spannender, aber leider sehr kleiner Fachbereich“ zu sein. Was diesem neoliberalen Kalkül widerstrebt, lässt man langsam im ReformNirvana zugrundegehen. Ganz ohne sich die Hände schmutzig zu machen.

EDELSTEINE UND UNIVERSITÄRE LEERE

Hinter dem schönfärberisch als „neues Modell für die Gestaltung der Fakultäts- und Fachbereichsarchitektur“ angekündigten Reformprogramm verbirgt sich ein strikter Sparkurs. Ersatzlos gestrichene Professuren und Studienassistenzstellen reißen Löcher universitärer Leere. Ein falsches Signal in der Corona-Krise, die schon jetzt zur Überlastung des Uni-Personals führt. Man wolle „die aufwerten, die da sind“, lamentiert Lehnert. Indem man ihnen die Mitsprache verwehrt? Ihre begründete Kritik ignoriert?

Fachbereiche mit geringem Prüfungsaufkommen werden in administrativ abgespeckte Formen gepresst. Oder, bürokratisch beschönigt: „inhaltlich stringent zusammengeschlossen“. Die ÖH warnt folgerichtig, dass die „bisher getrennten Fachdisziplinen verschwimmen“ und „an Konturen“ verlieren. Ein kontraproduktiver Radikalschliff hin zum amorphen Einheitsbrei. Dabei ist Diversität der Schlüssel zur Brillanz. Auch der hochkarätigste Diamant glitzert erst durch das Zusammenspiel seiner vielfältigen Facetten.

Anstatt das Distance-Learning-Vakuum auszunutzen, um kontroverse Prestigeprojekte durchzuboxen, sollte die Universität sich auf ihre demokratische Tradition besinnen.

SCHWEIGEN IST GELD

Das Konzept widerspiegle laut Rektorat eine „Kombination aus top-down und bottom-up-Vorgehen“. Eine interessante Interpretation weitgehend undemokratischer Praktiken. Ein halbes Jahr lang zirkulierte der Reformplan zwischen Rektorat, Dekanen und Senat. Ernstzunehmender Austausch mit „jenen Einrichtungen, die (…) intensiver von den Reformmaßnahmen betroffen wären“ folgte im Juni. Der „Weg in die breitere Hochschulöffentlichkeit“ begann mit der ersten öffentlich zugänglichen Niederschrift des Programms im August. Mitte November erfolgte die breitenwirksame Bekanntmachung per E-Mail an die Studierenden. Mit einer dreiwöchigen Frist für „wesentliche“ Beanstandungen. Nach monatelanger Planung hinter verschlossenen Türen.

Man habe „versucht, den (…) Kommunikationsweg von den Fachbereichen hin bis zu der Universitätsöffentlichkeit beizubehalten“. Das gelang. Nur eben mit einem Dreivierteljahr Verspätung. Und es als „Kommunikationsprozess“ zu titulieren, der Universitätsöffentlichkeit ein praktisch beschlossenes Konzept vorzulegen, mutet doch etwas dreist an. Man sei sich „der Tatsache bewusst, dass der diskursive Prozess mit den Beschäftigten noch umfassender hätte geführt werden können“. Aber Demokratie ist nun mal zeitraubend und kostspielig. Seinen Kritiker*innen schiebt das Rektorat den Schwarzen Peter zu: Der Reformerfolg sei abhängig von der „Identifizierung aller Universitätsangehörigen mit ihrer Universität“. Mundtote Sündenböcke meckern nicht.

DIE PLUS DAS BIN ICH

Wer sich nun fragt, wo dabei das beschworene bottom-up-Momentum geblieben ist, teilt diese Verwunderung mit weiten Teilen der „Universitätsöffentlichkeit“. Das Rektorat verweist auf „die Diskussionen der Fachbereiche und Fakultäten untereinander und die daraus resultierenden Positionspapiere“. Kritik also nur nachträglich und schriftlich. Die offizielle Prozessbeschreibung als „partizipativ“ und „dialogisch“ klingt da fast schon zynisch.

Wie lassen sich solche Störfeuer künftig vermeiden? Richtig: Indem die Kompetenzen des Rektorats ausgeweitet werden. Eine absolute Hoheit über die „Human Resources“, so der unverhohlen neoliberalistische Duktus im aktualisierten Reformprogramm. Einer Universität, die sich „Responsible Science“ zugunsten einer „gedeihlichen Entwicklung der Gesellschaft“ auf die Fahne schreibt, steht so eine latente Materialisierung ihrer Angehörigen nicht zu Gesicht. Dieses Detail zeugt bestenfalls von Unbedarftheit und steht sinnbildlich für die Natur dieser Reform: Ein opportunistisches Prestigeprojekt, das an allen Ecken und Enden sinn- und verantwortungsvoll durchdachter Konzepte entbehrt. Die Wissenschaft darf sich nicht an Wirtschaft und Politik anbiedern. Die PLUS ist nicht der Rektor allein. Die PLUS, das sind wir alle!

BRILLANZ GEGEN WISSENSCHAFTLICHE MONOKULTUR

Die Corona-Krise zwingt zur Austerität, doch an Bildung und Wissenschaft darf nicht gespart werden. Natürlich ist die geplante Fakultät für Digitale und Analytische Wissenschaften zukunftsweisend. Eine gesunde Zukunft bedarf aber primär eines stabilen ethischen Fundaments. Dieses bildet eine vielfältige und bunte Wissenschaft, deren Facetten durch Kooperation auf Augenhöhe zur Brillanz gelangen. Keine interdisziplinäre Diversität ohne Orchideenfächer.

Die Pandemie verunmöglicht es Studierenden und Lehrenden, ihre Interessen effektiv zu organisieren. Anstatt das Distance-Learning-Vakuum auszunutzen, um kontroverse Prestigeprojekte durchzuboxen, sollte die Universität sich darauf besinnen, was sie stark macht: demokratische Strukturen, facettenreiche Studien- und Forschungsangebote und ein hervorragendes Betreuungsverhältnis. So wie Monokultur bei Orchideen zum Heranreifen leerer Samen führt, degeneriert eine vereinheitlichte Wissenschaft zur inhaltslosen Farce. Nicht nur die Natur verabscheut „eine ständige Selbstbefruchtung“. Eine Erkenntnis aus Darwins Orchideengarten.

Titelbild: Shutterstock / Andrea Schernthaner
Dieser Artikel ist im PUNKT. 02/20 erschienen.