Ja, wir brauchen sie.
Brauchen wir sie, die Geisteswissenschaften? Die Frage nach der Legitimität stellt sich auch bei der Umstrukturierung der Paris Lodron Universität Salzburg. Die Frage nach deren ökonomischer Verwertbarkeit steht im Raum. Es lohnt sich durchaus, einen Blick auf die Geschichte und die Rolle der Geisteswissenschaften innerhalb der Gesellschaft, deren „Spiegel“ sie sind, zu „riskieren“.
Meinung von Martin Kofler
Wer kennt nicht das Klischee von „studierten“ Taxifahrer*innen. Das Onlineportal studieren.at betont die Notwendigkeit einer Spezialisierung für Absolvent*innen, bezeichnet Geisteswissenschaftler*innen aber als „Allround-Talente“ – die natürlich nicht nur Taxis lenken können. Im Studium lernt man, sich mit komplexen Sachverhalten auseinanderzusetzen, strukturiert zu arbeiten und sich auch an schwierige Themen heranzuwagen. Erfolgreiche Praktika und fachspezifische Nebenjobs während des Studiums ebnen den Weg hin zu einer Anstellung. Gerade in den Bereichen Medien und Kommunikation, Bildung und Unternehmensberatung. Das durchaus optimistische Resümee: „Als Geisteswissenschaftler*in steht dir die Welt offen.“
Bereits in der Antike erkannte man den Wert der Geisteswissenschaften. So entstand ein Kanon von sieben Studienfächern, den sogenannten „septem artes liberales“, den sieben freien Künsten. Sie wurden als frei bezeichnet, um sie gegenüber den „artes mechanicae“, den praktischen Künsten, als höherrangig zu bewerten. Als „praktisch“ galten demnach die Landwirtschaft, Kampf und Waffenkunst, Handel und kaufmännisches Gewerbe, die Schmiedekunst, Weberei und Schneiderei sowie das Bauwesen und die Kochkunst. Die „freien“ Künste galten deshalb als solche, weil ihr Studium und ihre Ausübung nicht dem „Broterwerb“ dienten. Sie bestanden aus dem „Trivium“ (Dreiweg), welches sich aus Grammatik, Rhetorik und Dialektik zusammensetzte. Ihre Beherrschung waren die Voraussetzung für das weiterführende Studium des „Quadriviums“ (Vierweg), welches aus den vier Wissenschaften Arithmetik, Geometrie, Musik und Astronomie bestand. Im mittelalterlichen Lehrwesen dienten sie als Vorbereitung auf eine der drei Fakultäten Theologie, Jurisprudenz und Medizin. Dieser Fächerkanon wurde in der Renaissance erweitert und findet sich auch an der Außenfassade des Gebäudes der Hauptbibliothek. Dort sind Theologia, Jurispudentia, Medicina und Philosophia abgebildet.
BRENNENDE GESELLSCHAFTLICHE HERAUSFORDERUNGEN
2007 wurde in Deutschland das „Jahr der Geisteswissenschaften“ gefeiert und auch die Relevanz der Kultur- und Geisteswissenschaften diskutiert. Die Konrad-Adenauer-Stiftung äußerte sich zu der Thematik, die Geisteswissenschaften werden von ihr als das „ABC der Menschheit“ beschrieben. Annette Schavan, immerhin zehn Jahre als Ministerin für Kultus, Jugend und Sport in Baden-Württemberg tätig, bezeichnete es als „geradezu absurd“, überhaupt die Frage nach der Nützlichkeit der Geisteswissenschaften zu stellen – „es sei denn, man legt einen völlig falschen Begriff von Nützlichkeit an“. Es war in Deutschland das siebte und letzte in einer Reihe von „Wissenschaftsjahren“, die zum Ziel hatten, der Bevölkerung die Leistungen und die Rolle der Wissenschaften näherzubringen.
Vor einem Jahr wurde auch in Salzburg gefeiert. Das 50-jährige Jubiläum des Fachbereichs Kommunikationswissenschaft stand an. Jubiläen sind ein Grund, kritisch zurückzublicken, gleichzeitig aber auch optimistisch den Blick nach vorne zu richten. In einer Lehrveranstaltung am Fachbereich erstellten Studierende gemeinsam mit Redakteur Ralf Hildebrand eine Sonderbeilage für die Salzburger Nachrichten. Ihr Titel „Kommunikation vernetzt“ bringt es auf den Punkt, was Kommunikation bewirken und leisten kann. Einer der Beiträge in dieser Sonderbeilage trägt die Überschrift „Nie so spannend, Kommunikation zu erforschen“. Herausforderungen, aber auch Bedrohungen, vor denen wir stehen, betreffen uns individuell und gesellschaftlich. Gefragt sind Lösungen, zu denen die Kultur- und Geisteswissenschaften wichtige Beiträge leisten können. Deren Vertreter*innen dürfen, sollten und müssen dafür selbstkritisch, aber auch selbstbewusst auftreten und sich an die „heißen Themen“ heranwagen können. Digitalisierung, Globalisierung, Klimawandel, Migrationsbewegungen, Populismus sowie Fundamentalismus und ihre Auswirkungen sind omnipräsent. Hier ist die Wissenschaft gefordert. Nicht nur die Naturwissenschaften, auch die Geisteswissenschaften. Wir brauchen sie.